Wednesday, January 06, 2010

Pawis Zug

Es war leichter gewesen als Pawi gedacht hatte. Durch die Eingangstuer waere sie niemals gekommen. In der zur Verfuegung stehenden Zeit haette sie das Siegel des Schlosses niemals brechen koennen. Auch die Fenster waeren zweifellos aehnlich gut gesichert gewesen. Aber Pawi hatte keinen dieser Wege auch nur in Betracht gezogen. Sie war voellig ungehindert durch den Kamin gekommen.

Sie laechelte. Das funktionierte bemerkenswert oft. Natuerlich haette ein normaler Mensch nicht durch den Schornstein gepasst, aber sie war streng genommen kein Mensch. Es hatte keiner grossen Anstrengung bedurft, ein paar kleine Kniffe gegen die Hitze und es war erledigt.

Der Speisesaal war leer gewesen, abgesehen von dem beinahe absurden Luxus der sich dort sammelte. Es war alles da. Kunstvoll geschnitzte Stuehle, eine sicherlich zehn Meter lange Tafel, Wandteppiche die Szenen der Familiengeschichte zeigten. Sie verstaerkte das Licht, um einen genaueren Blick auf die Szenen werfen zu koennen. Drachen? Laecherlich. Diese Familie war sicher nicht alt genug, um damals mitgekaempft zu haben.

Als Pawi auf leisen Sohlen den Raum durchquerte, sah sie aus dem Augenwinkel etwas glitzern.
Tatsaechlich. Sand. Nervoes sah sie sich um, die Schatten tanzten im Schein ihrer nun leicht flackernden Lichtkugel. Wenn es hier Sand gab, war ihr Auftrag schwieriger als es den Anschein gehabt hatte. Gut, es war zu wenig um sie in Gefahr bringen zu koennen, aber vielleicht war es nicht der einzige Sand im Haus.

‘Ksyrianier’, schimpfte sie. Es war immer dasselbe mit den verdammten Echsen. Sie erzaehlten immer nur die Haelfte um den Preis zu druecken. Grundsaetzlich war das war schon in Ordnung, solange sie dabei nur ein oder zwei zusaetzliche Wachmaenner unterschlugen. Aber Sand? Nun, das war etwas ganz anderes. Sie wuerde sich Ka’ao vornehmen, das war sicher. Wenn sie hier fertig war.

Sie sah sich die Phiole genauer an. Zwanzig, vielleicht sogar dreissig Gramm. Welcher Mann verwahrte solche Mengen Sand in seinem Speisesaal? Vielleicht nur ein ziemlich dummer reicher Kerl der sich den Sand als Trophäe hierhergestellt hatte, gemeinsam mit den exotischen Tierkopefen an der Wand.
Obwohl sie keinen Schritt von der Phiole entfernt stand, konnte sie das Bannfeld kaum wahrnehmen. Ein Feld dieser Staerke haette eigentlich im gesamten Raum deutlich spuerbar sein sollen. Kopfschuettend betrachtete sie den Behaelter. Das war gute Arbeit. Verdammt gute Arbeit. Hoffentlich die einzige ihrer Art in diesem Haus. Sie wuerde sehen.

Ihre Grossmutter hatte immer erzaehlt, dass in ihrer Jugendzeit Sand noch etwas ganz normales gewesen war. Stoff fuer goldgelbe, koernige Traeume, in denen mysthische Karawanen durch reiche ferne Laender zogen.
Legion war die Zahl der Theorien, warum das heute nicht mehr so war.
Es lag an den fehlgeschlagene Beschwoerungen dunkler Hexer, sagten die einen. Unsinn, dies waere die Strafe dieses oder jenes Gottes, meinten Andere. Nein, Alchemisten seien daran schuld. Laecherlich, die Geister der Toten bewegten den Sand. Und so weiter.
Pawi war das egal, fuer sie machte keinen Unterschied. Man musste mit den Dingen arbeiten, die man zur Verfuegung hatte. Solange Sand eine verflixt aggressive und toetliche Substanz war, handelte man besser angemessen.

Wenn sie richtig informiert war, sollte das Arbeitszimmer in noerdlicher Richtung liegen. Ein langer Gang, dritte Tuer links, durch das Solar und sie war da. Aufmerksam lauschte sie, aber das Haus blieb ruhig. Weiter.

Das schoene an diesen Reichenhaeusern war, dass die Tueren gut geoelt waren und sich voellig geraeuschlos oeffnen liessen. Der Gang war beleuchtet. Verdammt. Niemand beleutete einen Gang ohne Grund. Zum Beispiel jemand, der hier regelmaessig entlangpatroullierte. ‘Im Haus selbst gibt es keine Wachen’ hoerte sie Ka’ao von irgendwo hinter ihrem Ohr fluestern. ‘Ksyrianier’, knurrte sie, ‘wenn ich mit dir fertig bin, wirst du dir wuenschen, deine Mutter haette das Ei niemals ausgebuddelt’. Sie schloss die Tuer leise hinter sich, drueckte sich in einem nicht ganz so hellen Eck des Ganges gegen eine Wand und wartete. Ein gaehnender Wachmann in schlecht sitzender Uniform ging an ihr vorbei, keinen Meter von ihr entfernt. Mit angehaltenem Atem stand sie da, denn er konnte sie vielleicht nicht sehen, aber er wuerde sie sehr wohl hoeren koennen. Nachdem er um die Ecke gebogen war schlich Pawi weiter, und stand nach kurzer Zeit im Solar.

Auch das war ein imposanter Raum. Er war ebenso absurd luxurioes eingerichtet, mit seinem Marmorboden und den ganzen edlen Hoelzern. Aber sie hatte keine Zeit ihn sich genauer anzusehen. Die Tuer gegenueber fuehrte ins Arbeitszimmer. Dort, geschnitzt aus poliertem schwarzem Ebenholz, lag das Ziel ihrer Unternehmung. Der Vertrag sollte in einer dunklen Dokumentenrolle sein, mit dem Siegel eines stilisierten Geldbeutels. Etwas drang an ihr Ohr, ein kaum wahrnehmbares Rauschen. Sie erstarrte. ‘Nein’, dachte sie, ‘niemand ist so wahnsinnig, wegen dieser paar Dokumente ... ‘. Rasch liess sie die Kugel in die Mitte des Raumes schweben und drehte sie ein paar Stufen heller.

Wahrscheinlich hatte sie beim Oeffnen der Tuer irgendeinen Mechanismus betaetigt. Nun rieselte Sand auf den Kaminsims. Eine ganze Menge Sand. Instinktiv wob sie Schild, ein fluechtiges, hektisches Ding in dem jetzt schon feine Spinnweben sichtbar waren. Und doch, es wuerde halten. Zumindest eine Zeit lang.
'Auch gut', dachte sie, 'dann sollte das hier wohl besser schnell gehen.'
Methodisch durchsuchte sie die gestapelten Rollen, waehrend der Sand sie zornig umprasselte und einen Weg durch ihre Abschirmung suchte.
Dann, von einem Moment zum naechsten, hoerte das Prasseln auf. Irritiert sah sie sich um. Sie sah gerade noch, wie die letzten paar Sandkoerner durch eine Oeffnung in der huefthohen Statue eines Gargoyles verschwanden.
‘Was bei den Lords der sieben Hoellen war das denn?’ murmelte sie unbehaglich und setzte eilig die Suche nach der Rolle fort. Je schneller sie hier rauskam, desto besser. Endlich hatte sie die Rolle mit dem richtigen Siegel gefunden. Pawi steckte die Rolle in ihre Tasche und wandte sich gerade zum Gehen, als sie aus am Rande ihres Sichtfeldes eine Bewegung wahrnahm. Sie sah zu der Statue hinueber.

Der Gargoyle spannte gerade seine Steinmuskeln und loeste mit lautem Krachen eines seiner Vorderbeine von seinem Podest. Er schien nicht zu bemerken, dass er dabei eine seiner Zehen auf dem Sockel geblieben war. Pawi stand mit offenem Mund da und konnte nicht fassen, was sie da sah. Von so etwas hatte sie noch nicht einmal gehoert.
Nachdem der Gargoyle auch seine anderen drei Beine geraeuschvoll befreit hatte, reckte er sich traege und funkelte Pawi aus rotgluehenden Augen an. Zweihundertfuenfzig Pfund makeloser, angriffslustiger Marmor. Und keine Chance, dass das Krachen draussen unbemerkt geblieben war. Soviel zu ihrer leisen Rein und Raus Strategie.
'Scheisse' fluchte Pawi leise.

Der Gargoyle schnupperte und blickte sich im Raum um. Es war ein haessliches drachenartiges Tier mit viel zu grossen Zaehnen. Pawi sah die Muskeln der Hinterlaeufe zucken und duckte sich instinktiv. Die Statue segelte ueber sie hinweg, krachte in das Regal hinter ihr und verschwand unter den Truemmern. Ein heisser Schmerz durchfuhr sie, als sich einer der Holzspitter in ihren Unterarm bohrte. Sie unterdrueckte den Schrei und zog das Holzstueck vorsichtig aus der Wunde. Sie betrachtete das dunkel glizernde Stueck kurz und liess es achtlos fallen. ‘Wunden heilen’ knurrte sie und hechtete ueber den Tisch. Sie nahm den Stab von ihrem Guertel, lies ihn auf eineinhalb Schritt Laenge anwachsen und wartete.

Der Gargoyle rappelte sich hoch und sprang auf den Tisch, der unter seinem Gewicht betraechtlich aechzte. Er spannte sich abermals. Der Sprung gegen die Mauer hatte ihn die Ohren, einen Fluegel und einen Teil des Unterkiefers gekostet. Diesmal war sie vorbereitet. Als das Tier sprang, fuhr sie mit Stab unter den Gargoyle und hebelte ihn ueber sich hinweg. Dabei stuezte sie den Stab am Boden ab, um ihn nicht aus den Haenden gerissen zu bekommen. Die Statue flog durch das halbe Arbeitszimmer und prallte gegen den Kamin, um dort in einem Wirbel von Ziegeln und Staub zu Boden zu gehen.

‘Zeit zu gehen’, dachte sie, hechtete auf den Ausgang zu. Als sie nach dem Tuerknopf griff, flog diese mit Schwung auf. Das Tuerblatt schlug Pawi mit voller Wucht gegen die Schlaefe. Benommen taumelte sie zurueck und waere gestuerzt, wenn sie nicht zufaellig gegen den Schreibtisch geprallt waere. Verwirrt griff sie sich an die Schlaefe und betrachtete unglaeubig den dunklen Fleck auf ihrer Hand. Eine Platzwunde. Der Wachmann sah sich mit offenem Mund das verwuestete Zimmer an, bevor sich sein Blick sie fixierte. Er zog sein Kurzschwert und gab sich dabei sichtlich Muehe, nicht aengstlich zu wirken.

‘Keine Bewegung, verdammt!’ sagte er mit zitternder Stimme, ‘Verstaerkung ist ..’. Sie rammte ihm die Schulter in den Bauch und stuerzte in dem wieder aufkommenden Schwindelgefuehl beinahe. Stolpernd zwaengte sich an dem zusammenbrechenden Wachmann vorbei vorbei und hastete durch das Solar. Sie war kaum in den Gang zum Speisesaal gebogen als sie das hinter sich das Schaben der marmornen Krallen auf dem Boden hoerte, und beschleunigte nochmals ihre Schritte. Sie stiess die Tuer des Speisesaals auf, lief laengs ueber den Tisch und blickte im Lauf nach rechts. Die Phiole stand noch immer gut verschlossen da, Keos sei Dank. Dann hatte sie das Ende des Tisches erreicht und hechtete in den Kamin. Noch im Sprung wob sie den Hitzeschild und dehnte sich weit genug, um durch den Schornstein zu passen. Sie war noch keine zwei Meter geklettert als der Gargoyle mit solcher Wucht in den Kamin krachte, dass ihr der aufsteigende Staub Sicht und Atem nahm. Aber er kam nicht mehr an sie heran.

Am Dach angekommen legte sie sich auf die Schindeln, hustete ausgiebig und wartete, bis sie wieder einigermassen frei atmen konnte. Dann band sich ein Stueck ihres ohnehin zerfetzten Aermels um den noch immer blutenden Unterarm und zog es mit den Zaehnen fest. Danach betastete sie vorsichtig ihre Schlaefe, aber Wunde blutete nicht mehr. Geschafft. Sie zog die Rolle aus dem Aermel und zuendete eine neue Kugel an. ‘Mal sehen, was wir da eigentlich haben.’ murmelte sie und rollte das Dokument auf. Oben war eine Art Logo zu sehen, eine dunkle schleichende Gestalt mit dem Wahlspruch 'Leise - Zuverlaessig - Diskret' kreisfoermig rundherum geschrieben. Darunter stand in sauberer Handschrift:

Wir freuen uns Ihnen mitteilen zu koennen dass Sie, liebe Pawi al’Tigra, durch Diebstahl dieses Dokuments in den Rang eines
Beutelschneiders dritter Klasse
erhoben werden. Bitte finden Sie sich morgen um die Mittagsstunde im Gildenhaus ein, um das Aufnahmezerimoniell duchzufuehren.

Wir hoffen, sie hatten einen erquicklichen Beutezug und verbleiben mit kollegialen Gruessen!

gez. Ka’ao
Hocherster der Diebesgilde von Kal’ul.’

No comments: