Friday, December 25, 2009

Blutige Langeweile

Blutige Langeweile. Das war ihr Leben. Es ging in ihrem Beruf um nichts anderes. Als Assistentin im Zentrallabor analysierte sie nun mal Blut. Blut von Menschen, die man noch nie gesehen hatte und mit wenigen Ausnahmen niemals sehen wuerde, anonymes, rotes Leben in kleinen Glasroehrchen. Ab in den Zentrifugator, rein in den Hitachi, den Ausdruck auf Plausibilitaet pruefen und ab damit in die Hauspost. Bei Dates punktete sie damit immer bei der Frage, was denn ihr Beruf waere. ‘Blutige Langeweile’, sagte sie dann und erntete damit zumindest ein Laecheln. Wenn es nur nicht so wahr gewesen waere.

Ausserdem blutete sie schon wieder wie ein abgestochenes Schwein. War das wirklich schon wieder vier Wochen her? Waehrend sie auf den Ausdruck der naechsten Ergebnisse wartete, sah sie auf die Uhr und atmete auf. Nur noch eine Stunde, dann war auch dieser Arbeitstag vorbei. Und dann ab heim zu Robert. Er wartete auf sie.

Robert war gestern abend vorbeigekommen, eigentlich, um mit ihr Schlusszumachen. Es funktionierte nie besonders lange mit ihren Maennern, nach einiger Zeit wuerden immer sagen dass ‘es nicht an ihr liege’, sondern sie ‘noch fuer keine Beziehung bereit waeren’, und es ‘ihre Schuld war.’.

Am besten war es da noch wenn sie vorbeikamen, eben so wie Robert gestern. Das gab ihr die Moeglichkeit noch mit ihnen zu reden, sie zu ueberzeugen, bei ihr zu bleiben. Eben so wie bei Robert gesten. Er hatte wohl vorgehabt, es ihr zwischen Tuer und Angel mitzuteilen, aber war dann doch hereingekommen. Es war fuer sie nicht ganz leicht gewesen, die Ruhe zu bewahren, und zwischen Enttaeuschung und Wut nicht die Beherrschung zu verlieren. Das war ihr frueher passiert, und es hatte die Maenner nur noch schneller aus ihrem Leben vertrieben.

Schon als sie in die Wohnung kam hoerte sie den Fernseher laufen. ‘Wir waten durch ein Meer von Blut, gib uns dafuer Kraft und Mut’ sagten die McManus Brueder und sie drueckte auf die rote Taste der Fernbedienung. Robert sass auf der Couch und laechelte, sie hatte es nicht anders erwartet. Sie drueckte ihm einen Kuss auf. ‘So mein Lieber, ich geh nur rasch ins Bad und bereite das Schlafzimmer vor, und dann verziehen wir uns dorthin.’ sagte sie laechelnd, ‘ich bin noch nicht mit dir fertig’.

Als sie Richtung Bad davonging, laechelte sie. Letztlich war er dann doch geblieben, war nicht schon mitten in der Nacht gegangen und sogar noch da gewesen, als sie eben von der Arbeit heimgekommen war. Sie konnte sehr ueberzeugend sein, und er war nicht in der Lage gewesen, ihr zu widerstehen. Es lohnte sich, sich ein paar Tricks fuer besondere Gelegenheiten aufzuheben. Er gehoerte ihr. Sie entschied, wann es an der Zeit fuer ihn war zu gehen, und nicht umgekehrt. Mit ihr machte man nicht einfach Schluss.

Nachdem sie die Unterwaesche gewechselt und sich gereinigt hatte, warf sie einen Blick in die Badewanne. Sie hatte am Morgen keine Lust gehabt die Wanne auszuspuelen, und es war noch eine Menge halb eingetrocknetes Blut da. Die Wanne wuerde sie spaeter ausgibig schrubben muessen, das wuerde dauern. Mittlerweile aergerte sie sich, dass sie es nicht gleich erledigt hatte. Sie verschaeuchte den Gedanken und ging ins Wohnzimmer zurueck.

Viel spaeter, im Schlafzimmer, hielt sie verschwitzt seinen Kopf an ihre Brust gepresst und atmete schwer. Sie wusste dass er grinste, das spuerte sie. ‘Du bist ein huebscher Kerl’, sagte sie, ‘ich konnte nicht zulassen das du gehst. Niemand verlaesst mich. Aber du hattest recht, wie passen nicht so recht zusammen, das habe ich inzwischen erkannt. Du wirst keine Gelegenheit mehr erhalten, mich zu verletzen, Robert. Zwischen uns ist es aus. Es ist vorbei.’.

Dann stopfte sie seinen Kopf in einen der Muellsaecke und verknotete ihn. Sie war erschoeft, aber die Badewanne wuerde sich schliesslich nicht von selbst reinigen.

Waehrend sie stoisch einen Fleck nach dem anderen bearbeitete und beobachtete, wie sie sich unter den kreisfoermigen Bewegungen des Putzschwammes langsam aufloesten und in duennen roten Faeden Richtung Ablauf rannen, verzog sie den Mund zu einem schiefen Grinsen. ‘Das ist wirklich mein Leben’, murmelte sie, ‘Blutige Langeweile’.

Monday, December 21, 2009

Der Moerder ist immer der Gaertner

Larissa war auf dem Weg zur Arbeit, eine von hunderten. Eintraechtig trotteten sie auf dem neuen Pfad dahin. Erst gestern hatte es wieder einen dunklen Sturm gegeben, und der alte Weg war unpassierbar geworden. Selbst zwei Dutzend von ihnen hatten die umgestuerzte Pflanze nicht bewegen koennen, und darueber hinweg zu klettern wuerde zuviel Zeit in Anspruch nehmen. Also hatten sie unruhig gewartet, bis die Kundschafter einen neuen Weg gefunden hatten. Die Arbeit wartete. Der Stamm zaehlte auf sie. Der Stamm war alles.

Frueher, so erzaehlte die Allmutter, hatte es diese Stuerme nicht gegeben. Vor rund zehn Generationen war die Welt aus den Fugen geraten, waren die Baeume verschwunden und einer eintoenigen Grasslandschaft gewichen. Davor waren keine aetzenden Fluesse durch ihr Land geflossen, waren keine dunklen Stuerme ueber das Land gezogen, hatten die Roten sie noch nicht aus ihrem angestammten Land vertrieben gehabt.

Selbst der Huegel war nicht sicher - schon zweimal in ihrem Leben hatte eine Flut das Werk Tausender zerstoert. Viele hatten ihr Leben verloren, und nur unter grossen Opfern hatte die Allmutter und ihr Hofstaat in Sicherheit gebracht werden koennen. Die Reparaturen konnten nicht rechtzeitig abgeschlossen werden, und nocheinmal so viele starben im darauffolgenden Winter.

Sie stolperte und waere beinahe gefallen, und ihre Hinterfrau lief in sie hinein. Schnell rappelte sie sich auf und beeilte sich zu den vorderen aufzuschliessen, die natuerlich nicht gewartet hatten. Haette sie sich umgesehen, haette sie einen abschaetzigen Blick in den dunklen Augen gesehen, gepaart mit der ungestuehmen Arroganz der Jugend.

Gut, sie war nicht mehr die Juengste, und an kuehleren Tagen fiel ihr das Aufstehen bereits schwer. Wuerde sie hier fallen und liegenbleiben, niemand wuerde sich um sie kuemmern. Sie war alt, konnte nicht mehr so schnell ernten, nicht mehr so viel tragen, wurde ungeschickt und sah schlecht. Sie waere kein grosser Verlust. Als sie jung gewesen war, hatte man den alten Arbeiterinnen noch Respekt gezollt, sie geehrt fuer ein Leben voller Fleiss und Hingabe fuer den Stamm. Es war eine andere Zeit gewesen, eine Zeit des Ueberflusses. Doch das Leben war hart geworden nach dem Roten Krieg.

Der Sieg des Stammes war gewiss gewesen. Zehntausende ihrer Schwestern maschierten in Reih und Glied, eine unueberschaubare Masse gleichgeschaltener Leiber, voll Wut und Zorn auf ihre verraeterischen Nachbarn, die einen kompletten Arbeitstrupp vernichtet hatten.
Kein Gegner dieser Welt haette sie aufhalten koennen, sie waren eine Naturgewalt, bereit zu schlagen und zu zerstoeren, zu zerstueckeln und zu toeten, den Wohnhuegel der Gegner bis auf die Grundmauern niederzureissen und nichts und niemanden am Leben zu lassen.

Doch ihr Gegner war nicht von dieser Welt gewesen. Die Schamanen der Roten hatten den Himmel beschworen, und der Himmel hatte sie gehoert. Schon von der Weite hatte man das Roehren kommen hoeren, die praechtige Armee war in heilloser Flucht zerstoben. Zu tausenden wurden sie unter dem dunklen Himmel davongeweht, nach oben gesaugt und blieben fuer immer verschwunden. Nur einige hundert hatten ueberlebt. Die Roten hatten danach kurzen Prozess gemacht, hatten ihr Gebiet verdoppelt und sie vertrieben. Es war ihnen nichts anders uebrig gebliben als sich ausserhalb des neuen roten Reviers eine neue Heimstatt aufzubauen.

Waerend sie die Blaetter von Laeusen reinigte entgingen ihr die Blicke der anderen nicht. Sie war eine Belastung geworden, dachte sie mit leisem Bedauern, sie, eine der besten Ernterinnen ihrer Generation. Sie wusste, dass sie diesen Winter nicht ueberstehen wuerde, doch es war ihr gleich. Nur wenige hatten ein so hohes Alter erreicht wie sie, und sie hatte ein gutes Leben gehabt. Ein einfaches Leben, gewiss, aber ein gutes Leben. Oft hatte sie im Fruehjahr neidisch auf die höheren Kasten geschielt, ihnen ihr Glueck missgoennt. Fuer ihresgleichen hatten die Maenner niemals auch nur einen Blick uebrig gehabt. Sie wuerden sich niemals mit einer einfachen Arbeiterin abgeben, das wusste sie, und akzeptierte es widerstrebend. Doch das Fruehjahr ging, die Maenner ebenso, und der Alltag kehrte wieder ein - es war fuer alle besser so. Der Stamm funktionierte ohne all diese Aufregung besser.

Sie sah zum Himmel, der sich inzwischen leicht roetlich gefaerbt hatte. Es war an der Zeit, fuer die Nacht heimzukehren. Die Kollonne formierte sich, fast wie von selbst, und trat ihren Weg an. Ihre alten Ohren hoerten das Geraeusch als letzte, ein tiefes Brummen, und ein einstweilen leichter Windhauch, der in dieselbe Richtung blies. Um sie herum stobten die Arbeiterinnen auseinander, doch es war zu spaet. Sie spuerte den gewaltigen Sog, wurde in die Dunkelheit hochgehoben und befand sich bereits viele dutzend Koerperlaengen ueber dem Boden, als sie von einem riesigen, rasend schnellen Etwas getroffen wurde. Dann war nichts mehr.


‘Allmutter, ein dunkler Sturm hat die Arbeitskolonne 124 vernichtet. Wir vermuten, dass die Roten Schamanen wieder am Werk waren. Wir konnten sie nicht retten.’
Die Koenigin seufzte. 124 war eine gute Kolonne gewesen, und hatte viel Nahrung fuer den Stamm gebracht. Sie wuerde schwer zu ersetzen sein. ‘Danke, du kannst dich wieder um die Eier kuemmern’, sagte die Koenigin und sah die Amme hinaustrippeln. Sie legte noch zwei duzend Eier, bevor sich die Welt um sie aufzuloesen begann.


Karl stellte den Rasenmaeher ab. “Das habt ihr nun davon, Scheissviecher”, dachte er missmutig. Heute waren sie sogar auf seinen Tomatenstraeuchern rumgekrabbelt. Was zuviel war, war zuviel. Nun, sie hatten dafuer bitter bezahlt. Er hatte den ganzen verdammten Huegel niedergemaeht, und trotzdem krabbelten einige der Biester noch in den Resten ihres Haufens herum. Er presste die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen. ‘Ihr kommt mir nicht davon’, murmelte er und schritt Richtung Brunnen davon.